„Leuchte auf, mein Stern Borussia!“

Erstausstrahlung:
15.06.1997, 17:30 Uhr, ARD

30 Minuten Dokumentation, WDR.

Kamera: Uwe Gruszczynski
Schnitt: Elke Christ
Redaktion: Friedhelm Lange, WDR

Fußball als Religion.

„Borussia ist eine Religion für mich“, sagt Steffi S. aus Dortmund zu Beginn des Films. Und der dokumentiert, dass sie es auch so meint: Vor jedem Heimspiel hisst Steffi im heimischen Vorgarten die Flagge von Borussia Dortmund und spricht ein Gebet auf Sieg. Sie kleidet sich von Kopf bis Fuß in den Vereinsfarben schwarzgelb. Jedes Detail muss stimmen und es muss jedesmal gleich sein. Denn all das gehört zu ihrem „Ritual“.

Vergisst sie eine Kleinigkeit und die Mannschaft verliert, sagt sie: „Siehste Steffi, weil Du das Ritual nicht eingehalten hast …“ Am Morgen des Spieltages tanzt sie im Wohnzimmer zu den Fan-Hymnen des Vereins und singt mit: „Borussia, du verkörperst die Region, für manche von uns sogar Religion …“

Bruno Knust ist Autor dieser Fan-Hymne und des Titelsongs: „Leuchte auf, mein Stern Borussia, leuchte auf, zeig mir den Weg. Ganz egal, wohin er uns auch führt, ich werd immer bei dir sein“, auf die Melodie des christlichen Chorals „Amazing Grace“. Knust erklärt, dass viele Borussen-Fans sich inzwischen zu den Klängen seiner Hymne beerdigen lassen. Echten Fans wie der arbeitslosen ehemaligen Leipzigerin Steffi und ihren Mann Lothar gibt der Verein Lebensinhalt und Alltagsorientierung. Gartenarbeit und Hausrenovierung erledigt Lothar grundsätzlich nur in der spielfreien Sommerpause. „Man hat ja sonst nichts anderes hier: Fußball. Und da steck ich das ganze Geld rein, das ich irgendwie noch erübrigen kann“, sagt Steffi. Fan-Artikel von Borussia behandelt sie wie Devotionalien, die sie behutsam in einem Glasschrank auslegt: „Da darf außer mir keiner ran. Das ist mein Herz und meine Seele von Borussia.“
Die Dortmunder Pastorin Susanne Degenhardt, selber Borussen-Fan, weiß von vielen solcher Fan-Altäre. Borussia-Spieler Michael Zorc hält die religiöse Verehrung seiner Person zwar für übertrieben, erklärt sie aber so, dass die Fans nach glaubwürdigen Identifikationsfiguren suchten. Und (Ex-)Trainer Otmar Hitzfeld ergänzt, dass ein arbeitsloser Fan durch die Erfolge seines Vereins selber ein Erfolgserlebnis habe, sogar „einen Lebensinhalt, über den er berichten kann“.

Beim Training sehen Steffi und Lothar ihre Idole nur aus sicherer Distanz, abgeschottet durch einen hohen Eisenzaun. Im Fan-Shop wird ihnen durch überteuerte Artikel(Borussen-Senf und After-Shave…) das Geld aus der Tasche gezogen. Fußball ist längst ein eiskalt kalkuliertes Geschäft auf Kosten der Fans geworden. Dennoch geraten Steffi und Lothar auf der Tribüne völlig außer sich, wenn ihre Mannschaft ein Tor erzielt. Unter der jubelnden und weinenden Fan-Gemeinde ist auch Pastorin Degenhardt, die sich ein Fünkchen dieser Begeisterung und emotionalen Gemeinschaft auch für ihre Gottesdienste wünschen würde.
„Hier fragt man nicht nach arm oder reich. Wir Fans auf der Tribüne, wir sind alle gleich“, singt Bruno Knust. Und das gilt für echte Fans bei Sieg und Niederlage. Der Film kontrastiert den euphorischen Jubel der Borussia-Fans nach dem Gewinn der Champions-League mit der Trauer der Fans vom FC St.Pauli &über den Abstieg, wo neben dem Fan-Nachwuchs auch die Ältesten aus der Fan-Familie zu Wort kommen: der 86jährige Martin Bernitt, der für seinen underdog-Club Liebeserklärungen an der Heimorgel komponiert hat.

Kultveranstaltung Fußball und christlicher Gottesdienst – die Übergänge sind fließend, wie eine Gegenüberstellung von christlichen Ritualen mit denen des Fußballs dokumentiert.
Am Fronleichnams-Tag kreuzt in Dortmund eine katholische Prozession den Weg von schwarzgelb-gewandeten Fans, die zum Borsigplatz pilgern, wo sie ihre Champions-League-Sieger feiern wollen. Zweierlei religiöse Gemeinschaften, zweierlei Gottesdienste.

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